Warum brauchen Fashion Brands Polybags in ihrer Lieferkette und wie könnte und sollte die Nutzung von Plastik in der Fashionindustrie in zehn Jahres aussehen? Wir haben dazu mit den Gründern Henning und Steffen von runamics gesprochen, die seit kurzem unsere Polybags in ihrer Lieferkette nutzen. runamics stellt Laufbekleidung her, die sowohl aus alternativen Materialien, wie auch aus veränderten, schneller abbaubaren Polyamidfasern besteht. Damit möchten sie ein Zeichen dafür setzen, dass bereits heute gute plastikfreie Alternativen für Laufbekleidung gibt, bei der Läufer*innen keine Abstriche in Funktionalität, Design und Qualität machen müssen.
Wie kam es zu der Gründung von runamics?
Als ich 2017 das erste Mal von dem Thema Mikroplastik aus Sportkleidung erfahren habe, hat es mich nicht mehr losgelassen. Als Läufer ist bei mir viel Wäsche von Plastikkleidung angefallen. Ich habe mir vorher noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, aus was meine Kleidung überhaupt besteht. Null Komma Null.
Fast Forward to 2019: Ich startete eine Crowdfunding Kampagne für ein Laufshirt und Shorts ohne Plastikfasern. Im selben Jahr haben Henning und ich uns kennengelernt. Ihn beschäftigten die gleichen Themen und wir haben direkt gemerkt, dass wir gemeinsam mehr erreichen können für das Thema, wenn wir unsere Stärken bündeln. runamics als Marke ist geboren und wir haben die Marke zusammen aufgebaut.
Mit dem Launch der ersten Teile in 2020 haben wir jedoch gemerkt, dass die Issues in der Sportbekleidungsbranche weitreichender sind, als nur Mikroplastik. Wir lernten das Kreislaufkonzept Cradle to Cradle kennen, welches seitdem eine Art inhaltlicher Leitstern für uns ist.
Welche Produkte bietet ihr an und was unterscheidet euch von vielen anderen Sport Fashion Marken?
„At runamics you can run without the plastics or in good plastics.“ Wir bieten Laufbekleidung aus alternativen Materialien an, die bestimmte Probleme vermeiden sollen.
Wir entwickeln Textilien, die komplett auf Plastikfasern verzichten, wie zum Beispiel unsere Running Shirts aus Merinowolle kombiniert mit der Tencel Lyocell Faser (Holzcellulosefaser). Es hat eine perfekte Temperaturregulierung und riecht im Gegensatz zu Plastikshirts auch nach 3 Workouts nicht nach Schweiß. Nach dem Training einfach an die frische Luft hängen, die regelt den Rest.
Auch unsere „Run in Cotton“ Shirts zeigen, dass man ohne Plastik laufen kann. Hier bieten wir Shirts aus Fairtrade Biobaumwolle an, zertifiziert nach höchsten Standards, frei von jeglichen bedenklichen Schadstoffen. Oft scherzen wir, dass unsere Eltern ihre Marathons früher auch in Baumwolle gelaufen sind. Den Folgegenerationen hat man erfolgreich vermittelt, dass es nur noch in Plastik möglich ist. Bulls**t.
Zumal die meisten von uns im Alltag ja kurze Distanzen laufen, meist 5-15 km. Das geht ganz wunderbar auch in einem Baumwollshirt. Ist halt nass nach dem Workout, aber hey, du weißt, dass du was gemacht hast. Wie unbefriedigend ist es bitte, nach einem 10 km Lauf zu Hause anzukommen und das Shirt ist staubtrocken.
Anfang 2025 bringen wir sogar eine Laufjacke aus einem innovativen Biobaumwoll-Stoff an den Start. Sieht aus wie Plastik, fühlt sich so an, ist aber keins.
Und dann sind da unsere Entwicklungen aus neuartigen synthetischen Materialien. Wir haben aus einem Polyester mit dem Namen NaNea das erste nach Cradle to Cradle Gold Standards produzierte Running Shirt an den Start gebracht. Chemisch 100% unbedenklich, technisch perfekt recyclingfähig und sogar industriell kompostierbar. Laut dem Hersteller OceanSafe sind die hier entstehenden Mikrofasern nachgewiesenermaßen non-persistent, d.h. auch sie bauen sich schneller ab als herkömmliche Polymere.
Solche Ansätze finden wir super und wollen sie „auf die Straße bringen“. Aus dem Material haben wir in diesem Jahr zusammen mit dem Fußballverein FC Internationale aus Berlin das erste Fußballtrikot nach Cradle to Cradle Gold Standards an den Start gebracht. Der Verein hat sogar einen deutschen Nachhaltigkeitspreis für seinen Mut und die Konsequenz gewonnen.
Ihr habt euch dafür entschieden, Polybags aus wildem Plastik in eurer Lieferkette einzusetzen. Welche Lösung habt ihr vorher genutzt und warum ist WILDPLASTIC® ab sofort die Lösung eurer Wahl?
Erst hatten wir gar keine Einzelverpackung, dann sind wir auf eine kleine Papierbanderole umgestiegen. Beides ist für viele Produkte keine gute Lösung. Wenn man ein hochwertiges Laufshirt produziert und es danach in Kartons und im Lager knittrig oder ähnliches wird, dann ist das sehr schade. Bei einigen Produkten braucht man eine Umverpackung, damit es schön bleibt und auch so beim Kunden ankommt.
Virgin Plastic ist für uns für diesen Use Case ausgeschlossen. Sehr viel Müll für einen kurzen einzigen Nutzen. Da wir mit WILDPLASTIC® zudem das Büro teilen, konnten wir viel zum Thema Plastikkreisläufe lernen und haben kapiert, dass genug Plastik da draußen ist, aus dem man wunderbar wieder Folien machen kann.
Ihr vereint in einer Plastiktüte so viele sinnvolle Dinge. Da muss sich ja für alle Unternehmen, die noch Neuplastik einsetzen, zwangsläufig die Frage stellen, warum sie noch kein WILDPLASTIC® verwenden. Die leicht höheren Kosten pro Beutel sind absolut vertretbar und Skalierungseffekte greifen ja zwangsläufig auch hier, wenn mehr wildes Plastik verarbeitet wird. Die Marketingkolleg*innen freuen sich in den Abteilungen bestimmt ebenfalls, fürs Storytelling.
Gerade im Bereich der Polybags können und wollen viele Fashion-Unternehmen noch nicht auf Plastik verzichten. Könnt ihr kurz erläutern, warum das so ist?
In der Textilproduktion wird vieles von Hand gemacht. Ein T-Shirt wird noch immer von Menschen genäht, keiner Maschine. Ein fertiges Produkt wird am Ende von einer Person gebügelt, fein zusammengelegt und dann? Es zu 100 Stück in einen Karton stecken und dort wieder zerknittern lassen wäre doch schade, oder? Es braucht eine Umverpackung, um die Produkte in den heutigen globalen Systemen der Lagerung und Logistik sicher und hochwertig ans Ziel zu bringen.
Gerade im Retail und bei großen Ketten, die im stationären Geschäft arbeiten, würde ich mir aber wünschen, dass mehr Mehrwegsysteme zum Einsatz kommen. Die LKWs bringen Ware und fahren leer wieder zurück. Warum können sie denn nicht Mehrwegbehälter der Textilien mit zurück in die Factories nehmen, wo wieder neue Teile reinkommen können? Alle Marken könnten die gleichen Behälter nutzen, verkaufen doch eh alle die gleichen Produkte. Harmonisierung und Standardisierung sind wohl auch hier die wichtigsten Stichwörter.
Wie zufrieden seid ihr mit der Zusammenarbeit und den Endprodukten?
Alle Mitarbeiter*innen bei WILDPLASTIC® sind maximal hilfsbereit und lösungsorientiert. Zudem ging die Umsetzung bei uns wirklich schnell. Das würde ich mir von anderen Supply Chains auch wünschen.
Die Beutel selbst sind 1A, sie haben eine hohe Qualität, wir konnten sie mit unseren eigenen Prints veredeln und so die Geschichte erzählen. Schließlich sollen es ja so viele Leute wie möglich wissen, dass es das gibt. Vielleicht bestellt der Einkäufer eines Elektronikhandels oder Bratpfannen-Herstellers bei uns ein Laufshirt und denkt sich, „hey, solche Beutel wollen wir bei uns auch einsetzen“. Und zack, wurde wieder mehr Neuplastik durch wildes Plastik ersetzt.
Welche Rolle spielt eine transparente Lieferkette und die Rückverfolgung eurer Produkte für euch?
Bei unseren eigenen Produkten eine große Rolle, wir wollen und müssen ja wissen, was für Produkte wir fertigen und verkaufen. Demnach ist es uns natürlich auch wichtig zu verstehen, woher unsere Polybags kommen.
Für den Endkonsumentenmarkt halte ich die derzeitigen Transparenz-Debatten aber für völlig überzogen. Der bürokratische Aufwand für Unternehmen, die Informationen digital zur Verfügung zu stellen, sodass die Kundin versteht, welche Betriebe in welchem Land an etwas mitgearbeitet haben, ist immens. Und ich frage mich oft, was soll die Kundin denn jetzt mit dieser Info anfangen? Es hat keinerlei Nutzen oder Konsequenz in meinen Augen. Ein „Made in“ ist hier völlig ausreichend, um Kunden die Kaufentscheidung zu erleichtern. Solange die Firmen im Backend natürlich einen Überblick über ihre Supplier haben.
Was sind eure konkreten Next Steps bei runamics und wo wollt ihr in fünf Jahren stehen?
Neben einigen spannenden neuen Produkten müssen wir das machen, was auch andere kleine Firmen machen müssen: bekannter werden, profitable Marketing- und Absatzkanäle auf- und ausbauen. Hier sind wir primär im Online-Bereich aktiv.
Im Hinblick auf das Thema Impact und Nachhaltigkeit beschäftigt mich das Thema Emissionen derzeit sehr. Ich frage mich oft, ob wir eigentlich Teil der Lösung oder des Problems sind, denn jedes Produkt verursacht schädliche Treibhausgasemissionen. Ich möchte den Komplex Emissionen für unsere Firma und Produkte besser verstehen und herausfinden, wie wir ggf. neue Hebel finden, um auch in dem Bereich sinnvolle Lösungen zu installieren.
Wenn man sich intensiv mit den Themen der vermeintlichen Nachhaltigkeit beschäftigt, merkt man, dass jede Aktion mit positiver Absicht am Ende neue Probleme mit sich bringen kann. Recycling ist das beste Beispiel: egal über welches Materialrecycling wir sprechen, am Ende ist das Entstehen einer Recyclingindustrie für die Unternehmen der Freifahrtschein, um mit allen Materialien und Ressourcen weiterzumachen wie zuvor. Weil es ja recycelt werden kann. Komisch, dass in nahezu allen Industrien der globale Output wächst und nicht schrumpft: es wird jedes Jahr mehr Neuplastik produziert, mehr textile Fasern, mehr Metalle, usw.
Nach Meister Riese müsste doch eigentlich irgendwann in der Zukunft mal ein Kipppunkt kommen, an dem der Output neu produzierter Materialien sinkt. Hat das schon mal jemand in Eurer Branche z.B. für LDPE berechnet, wann dieser kommen soll? Im Textilsektor sind mir solche Zahlen auf jeden Fall nicht bekannt. Vielleicht könnte man mit Hilfe solcher Zahlen politischen und gesellschaftlichen Druck aufbauen.
Abschließend haben wir noch eine etwas umfassendere Frage: Wo seht ihr die Fashion-Branche eurer Meinung nach in zehn Jahren, was die Nutzung von Plastik angeht und was braucht es dafür?
Ca. 70% aller weltweit jährlich produzierten Textilien sind aus Plastik, vornehmlich Polyester. Das wird sich denke ich auch nicht ändern und manchmal glaube ich, dass es vielleicht auch gar nicht sinnvoll wäre. Ein Polymer zu produzieren ist per se ein gut kontrollierbarer Prozess, anders als bei Naturfasern, wo Land, Tier und Wasser gebraucht werden. Man stelle sich vor, alle Kleidung müsste aus Naturfasern produziert werden. Wir würden unseren Planeten dadurch sicher nur noch schneller beerdigen. Der Anbau konventioneller Baumwolle ist alles andere als sinnvoll (Pestizide, Land, Wasser). Anders als beim Verbrennen fossiler Ressourcen in Maschinen, Gebäuden und Fahrzeugen entsteht ja eigentlich ein Produkt mit längerfristigem Nutzen. Das gepaart mit einer laufenden Circular Economy könnte gut sein. Polyester lässt sich nämlich gut wiederverwerten, immer wieder.
Die Recyclingtechnologien entwickeln sich auch stetig weiter, große Player fangen an den kommerziellen Nutzen dieser zu erkennen und müssen sich dem Regulierungsdruck beugen. Entsprechend dem in der vorigen Antwort angesprochenen Dilemma mit dem Recycling wird sich jedoch zeigen müssen, ob die Technologien die Lösung sind und insgesamt für weniger Müll und Neuressourcen-Verbrauch führen oder eben nicht. Dann hätten wir selbst mit der Circular Economy leider nicht viel gewonnen.
In jedem Fall werden es eher langsame, Schritt-für-Schritt Entwicklungen sein. Wir sprechen hier ja oft von vielen Jahren, manchmal Jahrzehnten, bis z.B. gewünschte Veränderungen durch Regulierung greifen.
Nehmen wir eine mögliche Öko-Design Verordnung für Textilien in der EU. Diese wird schon seit Jahren diskutiert. Gerade werden Studien in Ländern umgesetzt, um der EU-Kommission fachliche Empfehlungen weiterzuleiten. Diese muss dann entscheiden und es ggf. in Recht oder Richtlinien überführen. Wenn darin zum Beispiel Vorgaben zum Recyclinganteil in Textilien gemacht werden, passiert dies nach einem sehr langen Prozess. Und es heißt dann noch nicht einmal, dass alle es machen. Schließlich gibt es ja auch noch Kühlschränke mit Energieeffizienzklasse D, oder? :-)
Im Hinblick auf das Packaging gehe ich auch nicht von großen Sprüngen aus. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Ich finde, WILDPLASTIC® sollte eine öffentlich finanzierte Vertriebsmannschaft mit 100 Vertriebsmitarbeitern pro Kontinent gestellt bekommen. Folienmüll in der Umwelt würde dadurch global schneller einen Sammelwert bekommen und schneller aus der Umwelt verschwinden.
Vielen Dank an Henning und Steffen für das Interview. Wir freuen uns riesig über diese Partnerschaft.
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